Flavono... was?
- Robin Hoyer
- 25. Apr.
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 4. Mai
Wirkstoffe in Kräutern - keine langweilige Theorie

Die Pflanzenheilkunde erlebt gerade ein fulminantes Comeback – nicht nur durch pharmazeutische Forschung, sondern auch in der Naturheilkunde, bei Heilpraktikern und natürlich bei Tierheilpraktikern. Immer mehr wird wissenschaftlich belegt, was unsere Vorfahren durch Beobachtung und Erfahrung längst wussten.
In Pflanzen stecken Vitamine und Mineralstoffe – klar. Aber da ist noch viel mehr. Sie enthalten wirksame Bestandteile und sogenannte „indifferente“ Stoffe – also solche, die selbst keine direkte Wirkung zeigen. Doch wer glaubt, dass diese daher bedeutungslos sind, irrt: Gerade diese Stoffe können entscheidend dafür sein, wie gut ein Heilkraut aufgenommen wird – sie beschleunigen oder verzögern seine Wirkung.
Diese Wirkstoffe sind allerdings nicht gleichmäßig verteilt. Oft steckt das medizinische Potenzial nur in bestimmten Pflanzenteilen – etwa Blüten, Blättern, Wurzeln oder Früchten. Auch Standort, Klima, Erntezeitpunkt und Trocknung spielen eine große Rolle. Das erklärt, warum Apothekerqualität empfohlen wird: Dort werden Reinheit und Wirkstoffgehalt kontrolliert.
Selber sammeln hat dennoch seinen Reiz – ich mache das auch. Aber wenn ich eine wirklich gezielte, tiefgreifende Wirkung möchte, überlasse ich das den Profis. Und als Tierheilpraktiker darf ich ohnehin keine Arzneimittel für Tiere herstellen oder abgeben. Ich mische also nur für mich selbst – der wohltuende Effekt ist dann ein erfreulicher Nebeneffekt.
Was aber wirkt denn nun in den Kräutern?
Neben Vitaminen und Mineralstoffen enthalten Heilpflanzen eine Fülle sogenannter sekundärer Pflanzenstoffe. Diese dienen der Pflanze ursprünglich nicht dem Stoffwechsel, sondern haben andere Aufgaben: Sie schützen vor Fressfeinden, locken Bestäuber an, wirken gegen Bakterien, Pilze oder UV-Strahlung. Für uns Menschen (und Tiere) sind genau diese Stoffe oft die entscheidenden Wirkträger in der Phytotherapie.

Im Folgenden stelle ich dir die wichtigsten Gruppen dieser Stoffe vor - ich hoffe ohne Dich zu langweilen.
Alkaloide - mit Vorsicht zu genießen
Alkaloide sind stark wirkende Pflanzenstoffe – manchmal sogar echte „Heilgifte“. In größeren Mengen giftig, in kleiner Dosis jedoch hochwirksam. Berühmte Beispiele: Morphin aus dem Schlafmohn oder Atropin aus der Tollkirsche.
Auch in milden Heilpflanzen können kleine Mengen enthalten sein, wo sie die Wirkung gezielt unterstützen.
Bitterstoffe - Bitter hoch drei
Manche Pflanzen wirken allein durch ihre Bitterstoffe – sogenannte „Amara“. Diese unterteilt man in drei Gruppen:
Reine Bittermittel wie Enzian oder Tausendgüldenkraut
Bittermittel mit ätherischen Ölen, z. B. Wermut, Beifuß, Engelwurz oder Schafgarbe
Bitterstoffe mit Scharfstoffen, z. B. in Ingwer oder Pfeffer – bei uns zwar nicht heimisch, aber gern genutzt
Bitterstoffe regen Speichelfluss, Magen- und Gallensaft an – und fördern so die Verdauung auf ganz klassische Weise.
Ätherische Öle - alles, was riecht

Ätherische Öle sind die Duftstoffe der Pflanzen – hochkonzentriert und vielschichtig. Ein einziges Öl kann über 100 Einzelstoffe enthalten! Die genaue Zusammensetzung überlasse ich den Botanikern – was zählt, ist die Wirkung: entzündungshemmend, krampflösend,
verdauungsfördernd, schleimlösend und sogar leicht antibiotisch.
Kräuter wie Thymian, Pfefferminze oder Kamille wirken über ihre ätherischen Öle gegen Bakterien, Viren – und manchmal sogar gegen schlechte Laune.
Flavonoide - der Titel des Artikels
Flavonoide – das sind sekundäre Pflanzenstoffe mit schwer greifbarer Wirkung, aber großer Bedeutung. Sie kommen in vielen Kräutern vor und unterstützen die Durchblutung, stärken die feinen Blutgefäße, wirken krampflösend im Verdauungstrakt und können Herz und Kreislauf regulieren.
Ihre Wirkung hängt stark von Art und Menge ab – deswegen gelten sie als eine Art „Verstärker“ der Heilpflanze.
Gerbstoffe - nicht nur gut für Lederschuhe
Gerbstoffe binden Eiweiße in Haut und Schleimhaut – dadurch entsteht eine schützende Schicht, die Bakterien den Nährboden entzieht. Sie wirken adstringierend, also zusammenziehend, und fördern die Heilung bei Entzündungen.
Typische Gerbstoffpflanzen: Eichenrinde, Heidelbeere, Blutwurz. Achtung: In hoher Dosierung können sie auch reizen – etwa Bärentraubenblätter bei empfindlichem Magen.
Glykoside - ein bisschen von allem
Glykoside bestehen aus einem Zuckeranteil und einem Wirkstoff – dem sogenannten Aglykon. Bei der Verdauung werden sie gespalten, und erst dann entfalten sie ihre Wirkung. Welche Wirkung das ist, hängt ganz vom Aglykon ab:– Herzstärkend (z. B. Fingerhut)– Schleimlösend (z. B. Primelwurzel)– Schweißtreibend (z. B. Lindenblüte)
Flavonoide und Bitterstoffe gehören übrigens oft zu den Glykosiden – darum ist eine eindeutige Zuordnung nicht immer möglich.
Kieselsäure - Haut, Haare, Nägel

Kieselsäure (Siliciumverbindungen) ist ein wichtiger Bestandteil für Haut, Haare, Nägel und das Bindegewebe. Pflanzen wie der Ackerschachtelhalm reichern sie aus dem Boden an – vorausgesetzt, der Standort stimmt. Deshalb wird Ackerschachtelhalm gern bei brüchigen Nägeln oder schwachem Bindegewebe empfohlen.
Saponine - Pflanzenschaum

Saponine sind Glykoside, die mit Wasser Schaum bilden – daher ihr Name (lat. „sapo“ = Seife). Sie können Fette in Wasser lösen (emulgieren) und fördern dadurch die Aufnahme anderer Wirkstoffe.
In hoher Dosis reizen sie Magen und Darm oder zerstören rote Blutkörperchen (hämolytisch). In kleiner Menge wirken sie schleimlösend, harntreibend und immunstimulierend.
Schleimstoffe - ist, was es ist
Schleimstoffe quellen in Wasser stark auf und bilden eine gelartige Substanz. Sie legen sich wie ein Schutzfilm über Schleimhäute – ideal bei Reizungen im Rachen oder Magen-Darm-Trakt.
Bekannte Schleimpflanzen: Leinsamen, Malve, Isländisch Moos. Sie wirken mild abführend, weil sie Wasser im Darm binden, und lindern Reizungen. Eine spannende Nebenwirkung: Sie dämpfen den Geschmack – besonders „sauer“ schmeckt dann weniger intensiv.
Tannine - mehr als nur adstringierend

Tannine findest du in vielen Pflanzen, vor allem in Rinde, Blättern und Früchten. Diese Stoffe haben die Fähigkeit, Eiweiße zu binden und eine schützende Schicht zu bilden – ideal, um Bakterien den Nährboden zu entziehen. Sie wirken adstringierend, also zusammenziehend, und fördern die Heilung bei Entzündungen.
Besonders in der Behandlung von Durchfall und Magenbeschwerden wird ihr Effekt geschätzt. Pflanzen wie die Eiche, Heidelbeere oder Blutwurz sind echte Tannin-Lieferanten. Achte nur darauf, dass sie bei zu hoher Dosierung auch reizen können.
Phytosterine – pflanzliche Fettverwandte
Pflanzliche Fette, die deinem Körper helfen können, das „schlechte“ Cholesterin zu senken – das sind die Phytosterine. Diese Substanzen kommen in vielen Pflanzen vor, besonders in Ölen, Nüssen und Samen. Sie stärken das Herz-Kreislaufsystem und wirken entzündungshemmend.
Besonders interessant: Phytosterine haben die Fähigkeit, Cholesterin im Darm zu binden und so dessen Aufnahme zu verhindern. Eine regelmäßige Aufnahme über die Ernährung – etwa durch den Verzehr von pflanzlichen Ölen – kann deinem Körper helfen, das Cholesterin-Level zu regulieren.
Lignane – die kleinen Antioxidantien
Lignane sind eine Klasse von Pflanzenstoffen, die vor allem in Leinsamen vorkommen und eine starke antioxidative Wirkung haben. Sie können östrogenartige Effekte haben, was besonders bei Frauen in den Wechseljahren von Vorteil sein kann. Lignane schützen nicht nur vor freien Radikalen, sondern unterstützen auch das Immunsystem und fördern die Gesundheit von Haut, Haaren und Knochen. Sie wirken zudem entzündungshemmend und haben sogar einen schützenden Einfluss auf den Körper gegen Krebs.
Carotinoide – Pflanzenpigmente mit Power

Carotinoide sind die farbenfrohen Helden unter den Pflanzenstoffen, die die schönen Farben von Karotten, Paprika und anderen Früchten hervorrufen. Aber sie sind nicht nur ein lecker für die Augen, sondern auch echte Gesundheitshelfer: Sie wirken als Antioxidantien und stärken das Immunsystem.
Besonders bekannt ist Beta-Carotin, das in Vitamin A umgewandelt wird und somit der Gesundheit der Augen und der Haut zugutekommt. Ein echtes Multitalent für die Gesundheit!
Triterpene – die Vielseitigen
Triterpene sind eine Gruppe von Pflanzenstoffen, die in vielen Kräutern vorkommen. Sie haben eine Vielzahl von positiven Effekten auf den Körper: Sie wirken entzündungshemmend, antiviral und stärken das Immunsystem. Besonders bemerkenswert ist, dass Triterpene auch eine beruhigende Wirkung auf die Haut haben und bei Hauterkrankungen wie Ekzemen oder Akne helfen können.

Du findest diese Stoffe vor allem in Heilpflanzen wie Süßholz, Echinacea und Ginseng. Sie sind echte Alleskönner, wenn es um die Unterstützung des Immunsystems und die Linderung von Entzündungen geht.
Warum das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile: Viele dieser Stoffe wirken nicht isoliert, sondern im Zusammenspiel. Flavonoide verstärken z.B. die Wirkung ätherischer Öle, Saponine verbessern die Aufnahme von Alkaloiden oder Glykosiden.
Und jetzt?
Das war mein Überblick über die wichtigsten Wirkstoffgruppen in Heilpflanzen – natürlich nur als Einstieg. In den nächsten Artikeln stelle ich Dir einzelne Kräuter genauer vor: mit Geschichte(n), Wirkung, Anwendung und allem, was mich an ihnen begeistert.
Denn ein Pflanzenporträt lebt nicht nur von der Chemie – sondern auch vom Charakter der Pflanze.
Quellen:
"Das große Buch der Heilpflanzen" von Apotheker M. Paholow
"Enzyklopädie Essbare Wildplfanzen" von Fleischhauer, Guthmann, Spiegelberger